Ostersonntag (31. März 2013)
Pfarrerin i.R. Renate Ganzhorn-Burkhardt, Mössingen [r.gabu@gmx.de]
Johannes 20, 11-18
Liebe Gemeinde,
sind Sie auch noch ganz erfüllt von diesem wunderbar starken Osterlied Martin Luthers „Christ lag in Todesbanden“, das wir eben gesungen haben?
„Und hat uns bracht das Leben!“ Darüber sollen wir fröhlich sein, Gott loben und dankbar sein – das heißt Ostern heute wie einst. Denn, so Luther in einer Osterpredigt aus demselben Jahr, in dem er sein Lied gedichtet hat: „Wenn wir noch so viel von Passion, Tod und Auferstehung Christi hören, so ist’s doch alles nichts, wenn wir‘s nicht zugleich auch für uns selber nehmen...Denn sein Leiden und Auferstehen ist nicht nur Wort, sondern Kraft.“
Also hören wir das Osterevangelium Johannes 20,11-18 als Leben schenkende und Leben verändernde Kraft heute wie einst.
Am leeren Grab
Maria Magdalena, die den Jüngern einst zum Verkündigungsengel geworden ist. Wenn sie heute auch zu mir kommt, als ihrer Schwester, und mir verkündet: “Jesus lebt! Ich habe es selbst erfahren! Und er hat mir aufgetragen, es dir weiterzusagen!“, dann will ich mit ihr ins Gespräch kommen, von Frau zu Frau. Dann will ich die ganze Geschichte noch einmal mit ihr durchgehen, angefangen bei ihrem hilflosen, verzweifelten Weinen vor dem leeren Grab.
„Ja“, sage ich zu ihr, „das verstehe ich gut, das geht mir oft auch so: Ich suche Jesus, ich möchte etwas spüren von seiner Nähe, möchte wenigstens irgendetwas Greifbares haben von ihm – aber er ist fort. Freilich, ich höre und rede selber ja auch oft genug von ihm, aber ich spüre so wenig von seiner heilenden Kraft bei den Kranken, von seiner tröstenden Kraft bei den Trauernden, von seiner aufrichtenden Kraft bei den Depressiven und seiner aufrüttelnden Kraft bei den Selbstgerechten. Ich spüre so wenig von seiner alle Gegensätze überwindenden und alle Feinde versöhnenden Kraft, und gerade an Ostern würde ich die so gerne spüren: im Heiligen Land ebenso wie bei uns in Deutschland, in unseren Städten und Gemeinden – stattdessen könnte ich dir Geschichten erzählen ohne Ende von Hass und Gewalt und Zerstörung ... Jesus ist fort – und ich stehe da in seiner Kirche, wie gelähmt von Hoffnungslosigkeit und Enttäuschung.“
Die Heilung der Blinden – ein Prozess
„Gelähmt, das ist das richtige Wort“, meint Maria Magdalena, „gelähmt und blind: gefangen in den alten Denkmustern war ich, unfähig zur Öffnung für das Neue. Ich sah ja das leere Grab, aber es warf nur Zweifel und Fragen und Sorgen auf bei mir, keinen Schritt kam ich weiter. Und ich habe auch Engel gesehen; die haben den Ort markiert, wo Jesus einmal gelegen hat, und sie haben mich gefragt: Frau, warum weinst du? Und ich habe ihnen sogar eine Antwort gegeben: „Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben!“ – Aber begriffen habe ich nicht. Ja, ich habe viel gesehen an diesem Ostermorgen – mit den Augen gesehen, und doch wieder nichts, gar nichts mit dem Herzen gesehen. Auch Jesus nicht, als ich mich abwandte vom Grab. Ich sah da nur einen Unbekannten und darum auch Verdächtigen vor mir stehen, vielleicht hatte er Jesus geraubt...“
Da muss ich ihr meinerseits zustimmen, der Frau aus Magdala: „Ja, das kenne ich auch! Manchmal schon habe ich Menschen als Jesusräuber beschuldigt, nur weil sie von anderen Gotteserfahrungen und in anderen Bildern und Worten redeten als ich: “Die haben doch nichts begriffen vom Evangelium!“ habe ich geschimpft – was aber, wenn es gerade an mir, meiner Lähmung und Blindheit lag, dass ich Jesus nicht erkannte in ihren Worten? Mir fällt jetzt – nach Jahren! – die Ökumenische Tagung wieder ein, auf der ein afrikanischer Pfarrer sagte: „Uns in Burkina Faso kommt es nicht so sehr wie euch deutschen Theologen auf die richtige Bibelauslegung an. Uns kommt es vor allem auf unsere Erfahrungen mit Jesus an: dass Jesus in uns lebt und an uns Wunder tut, das ist für uns entscheidend!“ Die meisten von uns haben damals nur den Kopf geschüttelt, aber ich frage mich heute gerade beim Bibellesen, ob wir damals Jesus nicht in der falschen Richtung gesucht haben: im Grab, wo sich nichts Neues mehr ereignen kann, wo Jesus für uns immer der bleibt, als den wir ihn einmal kennengelernt und begriffen haben. Dann kann er sich uns noch so oft zeigen – wir sehen ihn nicht, jedenfalls nicht mit dem Herzen...
„Und eben darum muss er selber etwas tun!“, sagte Maria Magdalena. „Mir jedenfalls hat er ganz unspektakulär, behutsam und gerade so wunderbar zum neuen Sehen verholfen. Wie die Engel hat auch er das Wort an mich gerichtet, mich gefragt nach dem Grund und dem Ziel meiner Tränen: ‚Was weinst du? Wen suchst du?‘ So ist er in meinen Augen immerhin zum Gärtner geworden, zu dem, der für den Kreislauf des Lebens zuständig ist, der dafür Sorge trägt, dass nach der Totenstarre wieder neues Leben zum Blühen kommt in der Natur.
So konnte ich mit ihm in Beziehung treten, mich an ein Du wenden und sagen, was ich will: Ich will ihn holen aus dem Versteck hierher zu mir an den Ort meiner Trauer und meiner Tränen! Und ich hörte seine Stimme und hörte meinen Namen: ‚Maria.‘ Da ging mir das Herz auf: Ich hörte und sah und begriff. Ja, das war für mich Ostern: jenes eine Wort, das mir durch und durch ging. Jenes eine Wort, das mich ihm wieder ganz zuwandte und meine Antwort hervorlockte: ‚Rabbuni!‘ Übersetzt es, wie ihr‘s wollt, mein Lehrer oder mein Meister oder noch einmal anders: es war mein ganz persönliches Liebeswort für ihn, meine Antwort auf sein Liebeswort für mich.“
„Oh ja!“, sage ich aus tiefstem Herzen, „das kann ich nachfühlen, da fällt mir manches dazu ein aus meinem eigenen Leben: Wie ich mich jedes Mal freue, wenn mein Mann beim Nachhausekommen nach mir ruft: ‚Hey, Renate, bist du da?‘ mit diesem besonderen Klang in der Stimme, an dem ich merke: Mir gilt die ganze Liebe, die in seiner Stimme liegt. Oder: Wie es mir jedes Mal selber guttut, wenn ich bei der Taufe einem Kind Gottes Liebeswort schenken darf: ‚Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen: du bist mein.‘ Das gilt auch mir, spüre ich da jedes Mal ganz tief in mir, da bin auch ich gemeint und gerufen, ich ganz persönlich. Mir geht es auch bei vielen Bachkantaten so, beim Hören wie beim Mitsingen, dass ich spüre: Ja, dieser Jesus, der mir eben noch so fern schien, der ist mir jetzt ganz nah, der ruft mich bei meinem Namen und schenkt mir neue Lebenskraft. Nur – das sind Momente, einzelne Augenblicke beglückender Erfahrung, die gehen vorüber. So richtig festhalten kann ich diesen Jesus nicht, immer wieder muss ich mich neu auf die Suche nach ihm begeben, immer wieder stehe auch ich vor dem leeren Grab und muss gefragt werden: Warum weinst du? Und: Wen suchst du? Immer wieder muss er selber mir die Ohren öffnen und mich bei meinem Namen rufen. Immer wieder neu.“
Du aber geh und verkündige!
„Du kannst den Auferstandenen nicht festhalten!“, sagt Maria Magdalena sehr bestimmt. „Er gehört nicht der Welt des Greifbaren an. Darum war es auch mir verwehrt, ihn festzuhalten. Darum wirst auch du dein Leben lang auf der Suche sein – aber du wirst immer wieder dieses sein Wort vernehmen, das dich im Innersten trifft und dich umdreht und deine Angst in Zuversicht, deinen Schmerz in Freude verwandelt. Er ist auferstanden: ist jenseits der Grenze des Todes, aber er wirkt mitten in dein Leben hinein. Er ist dir nahe als dein Bruder und zeigt dir, wer du bist: Gottes geliebtes Kind. Er ruft dich und gibt dir den Auftrag, nun deinerseits zum Verkündigungsengel zu werden so wie ich damals den Jüngern gegenüber, an deinem Ort, mit deinen Worten, zu deiner Zeit. Geh und verkündige: Jesus lebt und Gott ist uns in ihm ganz nahe!“
Liebe Gemeinde, wenn sie zu mir kommt, die Apostelin der Apostel Maria Magdalena, und mir verkündet: „Jesus lebt! Ich habe es selber erfahren!“, dann will ich mit ihr ins Gespräch kommen, so dachte ich anfangs. Und jetzt merke ich: Sie war ja hier bei mir, in dieser Kirche, in diesen Minuten, und hat es mir schon verkündet, und ich darf es Ihnen noch einmal weitersagen, frohen Herzens: "Jesus lebt und ruft uns alle beim Namen" – wie einst Maria Magdalena: voller Liebe. Amen.
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