Miserikordias Domini (14. April 2013)

Autorin / Autor:
Prälat i.R. Paul Dieterich, Weilheim a.d. Teck [Paul.Dieterich-online.de]

1. Mose 1, 1-25

Liebe Gemeinde!
Eines vorweg: Erwarten Sie bitte nicht von mir, dass ich gegen diesen Bericht, der in den Anschauungsweisen des 6. Jahrhunderts vor Christus abgefasst ist, das „Weltbild“ des 21. Jahrhunderts ins Feld führe. Oder umgekehrt. Es geht hier nicht um Weltbilder, sondern um das, was Gott getan hat. Und auch um das, was wir tun oder nicht tun sollten.

Am Anfang – Gottes helles, freudiges Ja!

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Es gab also einen Anfang. Deutlich wird, dass Gott, der Ewige, vor dem Anfang steht.
ER hat Himmel und Erde geschaffen. Sie sind nicht irgendwie zufällig geworden. Sie wurden auch nicht, wie viele Leute im ersten und zweiten Jahrhundert nach Christi Geburt meinten, von einem zwielichtigen Schöpfergott geschaffen, der seine guten und seine bösen Eigenschaften in die Welt hineingelegt hat. Nein, Gott, der Vater Jesu Christi, er allein, der die Liebe, der Licht ohne Finsternis ist, hat alles, was lebt, geschaffen. Und er hat das nicht am Tag seines Zorns getan, sondern am Tag der Gnade. Am Beginn allen Lebens steht nicht ein verquältes skeptisches Jein, sondern Gottes helles, freudiges Ja!

Himmel und Erde hat er geschaffen. Auch den Himmel, jenen Bereich des Unsichtbaren, der als Gottes bevorzugte Wohnung gilt, in dem Gottes Wille bereits geschieht. Wo ist der Himmel? Oben? Unten? Um uns? In uns? Die Empfehlung, wir sollten den Himmel in uns suchen, finde ich in der Bibel nicht. In uns wohnt wohl eher alles andere als der Himmel. Lassen wir es bei der naiven Auffassung, er sei über uns, sogar weit über uns. Ehre sei Gott in der Höhe. Der zu uns herunterkam, der ein Mensch wurde wie wir, kommt von ganz oben.
Und Gott sprach: Es werde Licht! Wer diesen Satz einmal auf Hebräisch gehört hat, wird ihn nie mehr vergessen. Da leuchtet aus dem Dunkel das Licht auf und erfüllt alle Räume. Wie schön ist der erste Lichtstrahl nach einer finsteren Nacht. Wie weckt er alles, was schläft, zum Leben! Es ist an jedem Morgen ein erregendes Erlebnis, schade, dass wir es meistens verschlafen. „Wach auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten“, so haben die frühen Christen einander im Gottesdienst begrüßt. Verstehen wir dieses Hervorleuchten des hellen Lichtes am Morgen der Welt als ein Vorspiel des Osterlichtes, mit dem alles, was Nacht und Tod, Verzweiflung und Sünde ist, überwunden wurde, damit wir leben als „Kinder des Lichts“, als Menschen, die von diesem Licht neu geschaffen wurden.

Gott schützt uns vor dem Chaos

Dass Gott am zweiten Schöpfungstag die Wasser unter dem Firmament von denen unter ihm schied, das erinnert freilich ganz direkt daran, wie sich Menschen vor 2500 Jahren die Welt vorgestellt haben: Oben, über dem blauen Firmament gewaltige Wassermassen, die jederzeit sintflutartig auf unsere Erde hereinbrechen können. Chaos, Katastrophe, Tod, sie bedrohen uns. Aber Gott hält sie von uns fern. Wir leben unter Gottes Schutz. Und wir Men-schen würden gut daran tun, nicht unsererseits aus Fürwitz oder Verblendung die Gefahren, die Gott von uns abhält, unsererseits zu entfesseln.

Land und Meer. Und preisgekrönte Verschlimmbesserung

Gott scheidet hier auf dieser unserer Erde Wasser und Land von einander. So bekommen wir Boden unter die Füße, Land, auf dem wir leben, in dem wir wurzeln können. Zwar sagen uns die Erdhistoriker, dass die Grenzen zwischen Meer und Land sich im Laufe von Jahrtausenden durchaus verändern. Damit können wir leben. Wir haben viel Zeit, uns darauf einzustellen. Katastrophal würde es freilich für Menschen in dicht besiedelten tiefliegenden Gebieten, etwa in Bangladesh, wenn der fortschreitende Klimawandel, das Abschmelzen der Eisregionen am Nordpol und am Südpol, den Wasserpegel der Weltmeere um zwei Meter ansteigen ließe. Es würde für Millionen Menschen den Tod bedeuten. Es ist nicht christlich, vor diesen Gefahren den Kopf in den Sand zu stecken in der Meinung: So weit wird es der liebe Gott schon nicht kommen lassen. Für die hausgemachten Katastrophen ist nicht Gott verantwortlich, sondern wir Menschen. Wenn wir die Grenzen einrei-ßen, die Gott zu unserem Schutz werden ließ, dann freveln wir gegen seine gute Ordnung. Dass unsere Weltklimagipfel meist ausgehen wie das Hornberger Schießen, zeigt, wie unwillig und wie unfähig die Menschheit ist, Wege aus der Gefahr zu gehen. Und wir? Wache Christen, die leben, damit eine kommende Generation auf dieser schönen Erde leben kann, fördern jede Initiative, durch die der nächste Klimagipfel zum Erfolg wird.
Und dann: Die Erde soll aufgehen lassen Gras und Kraut, die unendlich mannigfache Fülle der Pflanzen, fruchttragende Bäume. Und jeder Baum, jede Blume, jede Nutz-pflanze trägt in sich ihren Samen, jede nach ihrer Art. Einen Samen, in dem neues Leben, neue Frucht angelegt ist. „Gott sah an, dass es gut war.“ Gibt es irgendeinen Grund, dass wir Menschen mit unserer Gentechnik nach-bessern? Dass wir auch noch ein bisschen Schöpfer spielen? Etwa, um die wachsende Erdbevölkerung zu ernähren? Wir, die wir in Deutschland über die Hälfte der Nahrungsmittel in die Abfalltonne werfen, unfähig den Reichtum, den Gott uns wachsen lässt, anständig zu verteilen?

Haben Sie bemerkt, dass es hier nicht heißt: Gott schuf die Pflanzen, sondern: „Die Erde lasse aufgehen Gras und Kraut…?“ Die Erde ist ein ganz eigener höchst kreativer Organismus. Der freilich ebenso sensibel ist. Es ist nicht falsch, wen wir wie Dietrich Bonhoeffer oder wie die Indianer gelegentlich von „Mutter Erde“ reden. Als ich im Gespräch mit einer Biologin den hoch sensiblen Organismus der Kreatur erwähnte, sagte sie: „Er ist wie ein unendlich vielfältig gestaltetes Mobile. Ziehe ich an einem Ende, so kommt das ganze Mobile in Bewegung.“ Wer das versteht, der wird jener Mentalität widerstehen, die in der Erde nur einen Haufen Dreck oder einen Haufen Baumaterial für unsere Projekte sieht. Was wir oft als großen Erfolg wissenschaftlicher Weiterentwicklung bejubeln, erweist sich allzu oft im Rückblick als preisgekrönte Verschlimmbesserung dessen, was Gott gut gemacht hat.

Was heißt „Domini sumus“?

Dass in der Beschreibung des vierten Schöpfungstages die Gestirne als „Lichter“ oder „Lampen“ an der Feste des Himmels bezeichnet werden, die Sonne als das große Licht für den Tag, der Mond als kleines Licht für die Nacht, dazu die Sterne: In den Ohren der Babylonier vor 2500 Jahren muss das provozierend respektlos geklungen ha-ben. Ihre uralte Religion war der Gestirnsglaube. Wer ihm anhing, der ordnete sein Leben nach dem Horoskop. Die Astrologie galt als die Theologie, nicht nur in Babylon, auch in Ägypten und in weiten Regionen bis nach China. Und bis zum heutigen Tag versuchen ja auch Christen, sich nach astrophysischen Einflüssen zu richten. Dazu sagt die Bibel ein respektloses Nein. Was hinkt ihr auf beiden Seiten! Ihr seid befreit aus diesem "Knechtshaus" der Ängste. Besteht in der Freiheit der Kinder Gottes.

Ein Disput zwischen Martin Luther und seinem Freund Philipp Melanchthon zeigt etwas von dieser Freiheit. Melanchthon hielt – nicht zu Freude Luthers – trotz aller Freude an Christus doch viel von seinem Horoskop. Eines Tages standen die beiden an der Elbe. Deren Wasserstand war etwas höher als sonst. Sie sollten in einem Boot übersetzen, drüben wurden sie von Freunden sehnlich erwartet. Melanchthon, in dessen Horoskop stand, er werde eines Tages ertrinken, wollte Luther hindern, ins Boot zu steigen. „Heute nicht!“ flehte er ängstlich. Worauf Luther lachend ins Boot sprang und ihm zurief: „Domini sumus!“ Philipp konnte sich dann aussuchen, was das auf Deutsch heißt: „Wir sind des Herrn!“ oder „Wir sind Herren!“. Luther wollte beides sagen: Wenn wir des Herrn sind, dann sind wir auch Herren. „Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge“, sein Glaube befreit ihn von unnötigen Ängsten, von astrologisch bedingten auf jeden Fall.

Tier und Mensch, am selben Tag erschaffen

Und dann: Welch immense Fülle von Tierarten, zu Wasser, in der Luft und zu Land. Kein Lexikon wird ihre Vielfalt je erfassen vom Schmetterling bis zum Elefanten, vom Meeresplankton bis zum Walfisch.
Wie arrogant sind wir Menschen, dass wir durch unsere Art, mit der Schöpfung umzugehen, täglich mindestens zwanzig Tierarten martialisch ausrotten. Wie wenig verstehen wir Albert Schweitzers Wort: „Ich bin Leben inmitten von Leben, das leben will.“ Wie klug war der Pietist und Liederdichter Albert Knapp, dass er 1838 in Stuttgart den ersten Tierschutzverein gegründet hat. Nie genug können wir tun, um Gottes Tierwelt vor Zerstörung zu schützen!

Hirten, Hüter der Schöpfung und der Menschen

Kam es Ihnen, wie mir, zunächst nicht merkwürdig vor, dass wir am Hirtensonntag über die Schöpfung nachdenken sollen? Der neue Papst zeigt uns, wie beides zusammengehört. In seiner ersten Predigt als Papst Franziskus am 19. März 2013 rief er alle Christen und alle, die „guten Willens“ sind, auf, Hirten und Hüter nicht nur ihrer armen, hilflosen Mitmenschen zu sein, sondern auch Hüter der Schöpfung, die uns Gott anvertraut hat. Er bittet uns, „die Schönheit der Schöpfung zu bewahren, wie uns das im Buch Genesis gesagt wird und wie es uns Franziskus von Assisi gezeigt hat“, nämlich „Achtung zu haben vor jedem Geschöpf Gottes und vor der Umwelt, in der wir leben“.
Offenbar geht der neue Oberhirte der katholischen Christenheit davon aus, dass es ein „allgemeines Hirtentum aller Glaubenden“ gibt, zu dem wir berufen sind. Er sagt das gewiss im Geist des guten Hirten Jesus Christus. Folgen wir dem Hirten Jesus, hüten wir, Christen aller Konfessionen, miteinander, was Gott so wunderbar ge-schaffen hat.
Amen.

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