Epiphanias (06. Januar 2013)
Jesaja 60, 1-6
Liebe Gemeinde,
zwei kurze, knappe Ansagen dringen an unser Ohr: Mache dich auf! Werde licht! Im ersten Moment denke ich: Nichts lieber als das! Aufbrechen, mich aufmachen, und dabei voll Lebens sein, voll Lichts, voll Glaubens. Ja! So möchte ich leben. – Mache dich auf! Werde licht! Ein klarer, kräftiger Impuls.
Dann aber regen sich Fragen: Wie lange hält die Kraft an, die die beiden Mut-Worte spontan freisetzen? Bleibe ich hell und licht, wenn das Dunkel nach mir greift? Mache ich mich noch auf, wenn mich der trübe Trott des Alltags wieder hat? Wahrscheinlich geht es dann wie so oft mit den Vorsätzen fürs neue Jahr: Das vom Zauber des Anfangs entzündete Licht lässt bald nach.
Im ersten Moment liegt es nahe, sich der augenblicklichen Wirkung der beiden kurzen, klaren Ansagen zu überlassen. Nicht zu problematisieren, nicht zu erörtern, nicht lange Reden zu halten, sondern einfach „Ja“ zu sagen. Aber wir ahnen es: Das wird nicht nachhaltig sein, die Reichweite des inneren Rucks wird gering ausfallen. Die Prophetenworte zeigen es auch: Auf die beiden kurzen Anfangsimpulse folgen zwei weit ausgreifende „denn“-Sätze. Und: das Wörtchen „siehe“.
Also: Siehe! Schau' zuerst hin; und erst dann mache dich auf. Bevor du fragst „Was soll ich tun?“ Gib Acht, was schon getan ist. Hüte dich, gleich wirkungsvoll sein zu wollen; höre zuerst, wie Jesajas Worte Gott zur Wirkung bringen. Um licht zu werden, muss Licht dich berühren – wie der Sonnenstrahl, der aus dem wolkenverhangenen Himmel hervorbricht und dein Gesicht streift. Um Gott zu vertrauen, muss Gott sich dir nahen – wie das kleine Kind, das mit seinen Blicken und Gesten deine Miene erhellt. Wie aber findet das göttliche Kind, dessen Geburt wir vor zwei Wochen gefeiert haben und die Kirchen des Ostens heute, in Ihr und mein Leben? Wie öffnet sich uns der Himmel?
Werde licht – als Zeuge des Lichts über Zion!
Die Sätze aus dem Buch des Propheten Jesaja gelten zuerst der Stadt Jerusalem. Sie sind in erster Linie an Zion gerichtet. Mit diesem Respekt hören wir als christliche Gemeinde diese Worte und lassen sie auf uns wirken.
Es ist eine Zukunftsmusik, die damals geboren wurde, in der Zeit zwischen dem Jahr 515 v. Chr., als der persische König Kyros den verschleppten Juden die Rückkehr aus Babylon erlaubte, und dem noch ausstehenden Wiederaufbau der Jerusalemer Stadtmauer unter Nehemia. Offensichtlich gibt es Worte und Töne, die in weit größerem Maß am Vertrauen in die Zukunft bauen als Mauern. Was steht heute noch von Nehemias Mauern? Jesajas Zukunftsmusik aber baut bis auf den heutigen Tag mit am Gott- und am Lebensvertrauen. Diese Prophetenworte hören nicht auf, Hoffnung zu wecken. Sie weiten das manchmal wie eingemauerte Tagaus-Tagein zu einem beseelten, lichterfüllten Leben. Sie entfachen in ausgebrannten Seelen eine neue Hoffnung – Hoffnung, die in der Erfahrung der Rückkehrer damals, 500 v. Chr., einen Anhaltspunkt hatte und nicht trügerisch war; aber eben doch Hoffnung, die über die Erfahrung hinausging und Lebensraum öffnete.
Wir sind Zeugen davon, dass diese Hoffnung den jüdischen Glauben durchdrungen hat und bis auf den heutigen Tag erfüllt. Wir hören aus den Worten Jesajas vor allem, wie sie die Rückkehrer aus dem babylonischen Exil in neues Licht stellen. Wie anders sieht das Leben der Rückkehrer aus im Licht von Gottes Wirken und Sein!
Da lassen sich die von den Babyloniern Beraubten wieder nieder auf ihrem Grund und Boden. Und stehen vor Trümmern. Wie anders aber wird der Blick auf diese Trümmer im Licht von Jesajas Traum: „weil sich die Schätze der Völker am Meer zu dir kehren und der Reichtum der Völker zu dir kommen wird.“ Da nehmen die einst Gedemütigten ihren Platz wieder ein, immer noch eingeklemmt zwischen den vorderasiatischen Großmächten. Wie anders stellt sich Israels Lage dar im Vertrauen Jesajas, „denn … sie werden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen.“ Jesajas Zukunftsmusik findet schließlich ihren Höhepunkt darin, dass die anderen Völker, „des Herrn Lob verkündigen … und das Haus seiner Herrlichkeit zieren.“ Dunkel und Finsternis decken die Erde und Völker, gewiss, auch die Zurückkehrenden. Jesajas Worte aber helfen. Mit ihnen leuchtet Zion auf. „Gott hört nicht auf, mit dir etwas anzufangen – mit dir, du Stadt Jerusalem; mit dir, du Volk Gottes.“
Wir sind Zeugen dieser Erwählung. Wir schauen das Licht, in das Zion gerückt wird – ein Licht, das allem gottfeindlichen Dunkel und den antisemitischen Verfinsterungen zum Trotz seinen Widerschein hat im jüdischen Glauben, den Familien, Gemeinden, Synagogen und Schulen. Wir sind Zeugen der Herrlichkeit des Herrn, die aufgeht über seinem ersterwählten Volk. Und die Herrlichkeit des Herrn spiegelt sich nicht zuletzt darin wider, dass jene Erwählten Jesajas Verheißungsworte vom Raum in die Zeit zu holen wussten, dass sie von der Zusammenführung an dem Ort Zion zu einer ungleich haltbareren Verbundenheit im Kalender gefunden haben, trotz weltweiter Zerstreuung.
Also: Siehe! Schau auf die Erwählung Israels, höre die Psalmen, sprich jene Worte nach, in denen man sich „restlos unterbringt“, und die doch nicht dir gehören. Geh mit auf die Wege Abrahams, der Väter und Mütter im Glauben! Empfinde die Befreiung aus der Knechtschaft mit. Hüte dich, selbst gleich anders und weiter sein zu wollen; spüre, wie Jesajas Worte Gott an Israel zur Wirkung bringen, und dann auch an dir als Nachgeborenem, als neuem Spross.
Werde licht … als Sänger und Sängerin des Liedes vom schönen Morgenstern!
Jetzt, nach diesem Blick auf Zion, wandert der Blick von Jerusalem auch hinüber nach Bethlehem. Hin zu dem Stall, zu dem Kind, zu jener Geschichte, die unter Jesajas Zukunftsmusik Ihnen und mir heute ebenso lebendig wird wie die niemals aufgegebene Geschichte Gottes mit Zion. Die Hoffnung auf Licht hat ihren Anhaltspunkt nicht nur in der Rückkehr der verschleppten Israeliten in die Stadt, sondern auch in der Einkehr in den Stall. Wir feiern heute eben nicht drei heilige Könige, sondern den einen Herrn. "Erscheinungsfest" heißt dieser Tag: Gott tritt in Erscheinung, und wir sind dabei. Am eindrücklichsten vielleicht durch das Lied, das wie kein anderes zum heutigen Tag gehört.
„Königin der Choräle“ wird es gerne genannt, das Lied „Wie schön leuchtet der Morgenstern“. Vor über 400 Jahren hat es Philipp Nicolai gedichtet und komponiert. Und es hat nichts von seiner Anmut verloren: So schön der Morgenstern leuchtet, so hell strahlt das D-Dur auf. So hoch der Morgenstern am Himmel steht, so hoch steigen die Töne. So „lieblich, freundlich, schön und herrlich“ der Morgenstern anzuschauen ist, so liebevoll wiegen der Rhythmus und die Melodie im zweiten Teil jeder Strophe uns in eine staunende Geborgenheit. Ein wunderschönes Lied.
Zugleich reibt man sich, wie meistens im Licht, die Augen: ein wunderliches Lied! Mit einem Ausruf, einem Sprung vom D zum A fängt es an: „Wie schön leuchtet der Morgenstern“. Und der Sänger kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus: Der Morgenstern ist „voll Gnad und Wahrheit von dem Herrn“, er stammt aus der „süßen Wurzel Jesse“. Er ist also der verheißene Messias aus dem Stamm Davids und dessen Vaters Isai. Er steigt als Stern auf, sein Licht erhellt die Dunkelheit.
Auf den Ausruf folgt der Anruf: „Du Sohn Davids aus Jakobs Stamm“ wird der Morgenstern angeredet. Noch mehr: Er ist „mein König und mein Bräutigam“, der „mir mein Herz besessen“. Neun Ehrentitel folgen. Nicht mehr nur angeredet, sondern angebetet wird der Bräutigam, der so „hoch und sehr prächtig erhaben“ ist, dass am Ende der Strophe der Tonraum einer ganzen Oktave abgeschritten wird vom hohen bis zum tiefen D. Wunderschön ist das. Und wunderlich zugleich.
So schön Philipp Nicolais Lied auch klingt, ist es doch eine eigene Art von Schönheit, in der sich Epiphanias ereignet, Gottes Erscheinung. „Schön“ nach unseren Begriffen ist das nämlich gerade nicht, was wir zu sehen bekommen: Stall und Stroh und Futterkrippe, Kreuz und Tod und Nägelmale. Die ganze Schönheit, auch bei Philipp Nicolai, besteht in den Worten „für mich“: für mich zur Welt gekommen – jener Gott, der sich nicht den Anschein des Schönen gibt, sondern mich zu einem neuen Menschen macht, mich ins Licht setzt, mich mit seinem Geheimnis umgibt, und mich auch, ja, „schön“ macht. Nicht Gott „an sich“, nicht das Kind in der Krippe „an sich“ ist schön, sondern wunderschön ist das alles, weil es mich hell macht. Nicht die Herrlichkeit des Herrn an sich ist zu lobpreisen, sondern die Herrlichkeit, die aufgeht über uns – über der Stadt, über dem Stall, über dir und mir.
Also: Siehe! Schau' auf das Kind in der Krippe. Räum' den Stall mit den Figuren nicht heute schon weg. Lass den Baum und den Schmuck von Weihnachten, wenn es sein darf, auch an den Tagen und Sonntagen „nach Epiphanias“ noch im Raum. Sing' dieses Lied vom schönen Morgenstern. Immer wieder. Sei gewiss: Von Gott kommt dir ein Freudenschein. Und dann: Mache dich auf, denn du bist licht!
Amen.
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