Gründonnerstag (28. März 2013)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Martina Servatius, Laupheim [Martina.Servatius@elkw.de]

2. Mose 12, 1-14

Liebe Gemeinde!

„Warum ist diese Nacht anders als alle anderen Nächte?“ fragt das jüngste Kind am Tisch in der Passanacht. Dann sitzen sie um den gedeckten Tisch, Männer, Frauen, Kinder, Alte und Junge beieinander, die jüdische Familie, vielleicht noch die Nachbarn dabei. Vor ihnen liegt der Sederteller mit den symbolischen Speisen. Siebenerlei. Und dann wird die Geschichte erzählt. Nein, mehr noch: Sie steigen ein in die alte Geschichte. Und die alte Geschichte geschieht jetzt. Gott befreit sein Volk aus der Knechtschaft. „In jedem Zeitalter“, so heißt es in der Haggada – das ist sozusagen die Liturgie der Passanacht – „In jedem Zeitalter ist der Mensch verpflichtet,… sich vorzustellen, er sei selbst mit aus Ägypten gezogen.“

Die Einsetzung des Abendmahls beim Passafest: der Duft der Freiheit

„Warum ist diese Nacht anders als alle anderen Nächte?“ Auch als Jesus mit seinen Jüngern das letzte Mal zu Tisch saß, wird der Jüngste in der Runde so gefragt haben. So wie der jüdische Brauch es vorgibt. Die Evangelien, die uns von der Einsetzung des Abendmahls erzählen, betten diese ein in die Feier des Passamahls. Deshalb sind wir an diesem Abend, an dem wir uns an die Einsetzung des Abendmahls erinnern, vielleicht so nah dran am Judentum, am Glauben Jesu, wie sonst nie. Die kaum zu fassende Vielschichtigkeit von Rettung und Befreiung ist hier präsent in dieser Nacht. Dafür stehen die Motive: Heiliges Essen, Mahlgemeinschaft, Lamm, Blut, Brot. So atmet das Abendmahl den Duft des Passa. Es ist der Duft einer Freiheit, die sich angesichts von Schrecken und Unbegreiflichkeiten verwirklicht. Wir wittern darin die Morgenluft einer Freiheit, die immer noch vor uns liegt, die herrliche Freiheit der Kinder Gottes.

Die dunkle Seite der Befreiung

„Ihr sollt beim Essen bereit zum Aufbruch sein“, hören wir in der biblischen Anweisung für das Passamahl, „das Gewand mit dem Gürtel geschürzt, die Füße mit Sandalen geschützt, den Wanderstab in der Hand“ (Bibel in gerechter Sprache) „als die, die hinwegeilen“ (L). Es geht hierbei um mehr als um zeitliche Eile. Es geht bei diesem Aufbruch um eine innere Unruhe. Es geht um das spannungsvolle Erwarten tiefgreifender Veränderung. Als ob das Gefühl schon mehr wüsste. Es ahnt den Preis der Freiheit. Die dunkle Seite. Die trifft hier das ägyptische Volk um seines verstockten Herrschers willen, der glaubt, mit Gewalt Gottes Volk niederhalten zu können. „Denn ich will in derselben Nacht durch Ägyptenland gehen und alle Erstgeburt schlagen in Ägyptenland unter Mensch und Vieh und will Strafgericht halten über alle Götter der Ägypter, ich, der HERR.“ Das ist die dunkle Seite der Befreiung. Aber das Gefühl ahnt wohl auch, welchen Preis die Befreiten selber bereit sein müssen, zu zahlen. Nämlich: Verzicht auf die „Fleischtöpfe Ägyptens“, also die Sicherheiten der Sklavenrolle. Dazu kommen Entbehrungen auf dem Weg durch die Wüste; Gefahren; und nicht zuletzt das Risiko, das Gelobte Land vielleicht niemals zu erreichen. Freiheit ist nicht billig zu haben. Deshalb kann man sie nicht bequem angelehnt erwarten. Sondern man sieht ihr ängstlich, aufgewühlt, bestürzt entgegen, „mit Zittern und Beben, mit klopfendem Herzen“, wie der jüdische Bibelausleger Benno Jacobs schreibt.
Abendmahl: Jesus zeichnet sein Leiden in die Befreiungstat Gottes
All dies, so stelle ich mir vor, all dies ist präsent, als Jesus mit seinen Jüngern zum letzten Mal das Passamahl hält. All das ist mit drin, als er das Abendmahl stiftet. Und es bleibt mit drin, auch wenn Jesus dem Mahl eine neue Bedeutung hinzufügt; auch wenn es in Jesus eine neue Gestalt gewinnt. Es ist ja kein Zufall, dass die Einsetzung des Heiligen Abendmahls so eng mit dem Passa verbunden ist. Nach dem Lukasevangelium sagt Jesus, als er sich mit seinen Jüngern zu Tisch setzt: „Mich hat herzlich verlangt, dies Passalamm mit euch zu essen, ehe ich leide. Denn ich sage euch, dass ich es nicht mehr essen werde bis es erfüllt wird im Reich Gottes“ (Lk 22,15f). Es ist, als brauche Jesus dieses Mahl noch einmal. Zur Stärkung. Als Kraftquelle. Er braucht es, um sich selber gewiss zu werden, dass dies, was geschehen wird, Gottes Weg ist. Gottes Weg mit ihm, und sein Weg mit Gott. Und weil Gott der Gott ist, der sein Volk aus der Knechtschaft in die Freiheit führt, darum wird Jesu Weg, was er auch bringen wird, ein Weg in die Freiheit sein. So zeichnet Jesus sein Leiden ein in die Befreiungstat Gottes. Befreiung aus der Knechtschaft kann auch heißen: Befreiung zum Leiden. Leiden als Akt der Freiheit. Sterben als Akt der Freiheit. Wie sehr wird Jesus dieses Mahl „mit Zittern und Beben, mit klopfendem Herzen“ gefeiert haben! Und auf einmal wird es durchsichtig für ihn. Erschaut durch dieses Mahl auf sein eigenes Leben. Er sieht in diesem Mahl sich selbst abgebildet; seinen Weg, seinen Sinn, sein Ziel. Als er das Brot nimmt, spricht er es aus: Mein Leib für euch! Und als er den Kelch nimmt: Mein Blut für euch! „Dann aber soll das Blut euer Zeichen sein“ (V 13). Das Blut als Zeichen für die, die zu ihm gehören.

Abendmahl: Unsere Teilnahme am Akt lebenserschließender Abgründigkeit

„Das heilige Essen ist ein mysteriöser Akt von lebenserschließender Abgründigkeit“, schreibt der Theologe Manfred Josuttis. Wir, liebe Schwestern und Brüder, wir haben teil am Mahl des Herrn. Wir haben teil an diesem mysteriösen Akt von lebenserschließender Abgründigkeit. Das Mahl bereitet uns vor auf das äbgründigste Geschehen, das man sich vorstellen kann: den Tod Jesu. Das Mahl stärkt uns für das Ungeheuerliche, den Tod Jesu auszuhalten zu unserer Befreiung; ihn zu erahnen als Tat, durch die Gott uns frei macht von Sünde, Tod und Teufel. „Warum ist diese Nacht anders als alle anderen Nächte?“ Wir können nicht aufhören, zu fragen und zu erzählen und das Mahl zu halten. Die alte Geschichte geschieht jetzt. „In jedem Zeitalter ist der Mensch verpflichtet, sich vorzustellen, er sei selbst mit aus Ägypten gezogen.“ Ich füge hinzu: Zu jeder Zeit sollen wir uns vorstellen: Wir selbst sind mit Jesus am Tisch gesessen.
Amen.

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