Karfreitag (29. März 2013)
Matthäus 27, 33-50
Liebe Gemeinde,
Karfreitag ist kein Tag wie jeder andere. Sehr, sehr einsam ist Jesus in dieser Nacht.
Seine Freunde verschlafen seine Not, fliehen oder verleugnen ihn.
Aber die Gegner sind hellwach. Sie trachten Jesus nach dem Leben.
Sie verhaften und verspotten, sie quälen und beschuldigen den Unschuldigen,
den Juden Jesus von Nazareth, Gottes Sohn.
So beleidigen und verletzen Menschen die Herrlichkeit Gottes.
Wir haben es im Ohr: »Er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen« (Jes 53,5). Und wir erschrecken dabei über die dunklen Möglichkeiten, die in uns Menschen sind.
In Soldaten zum Beispiel, die sonst nur herumkommandiert werden. Sie haben ihren Spaß, sind jetzt Herren, Bestimmer über den Gefangenen, wehrlosen Jesus. Was Jesus will, verstehen sie nicht. Nicht seine Sprache, nicht seine Worte, nicht seinen Weg. Aber sie verspotten ihn, verkleiden ihn als König, setzen ihm eine Dornenkrone auf, reden ihn als Retter an.
Kennen wir das? Wie Kleingemachte mithelfen, ihre Helfer niederzumachen?
Warum eigentlich? Wollen sie sich selber weismachen: „Oben bleibt oben und unten bleibt unten. Man kann nichts machen. Wer sich widersetzt, kriegt eins auf den Deckel.“
Nach dem Spott die nackte Gewalt: Die Soldaten spucken Jesus ins Gesicht. Sie schlagen ihn auf den Kopf. Purpurmantel wieder aus, Kleider an. „Der läuft in seinen eigenen Kleidern zum Kreuz! Damit ja keine Missverständnisse aufkommen. Getötet wird der Zimmermannssohn aus Nazareth.“ Und ab zur Kreuzigung.
33 Und als sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha, das heißt: Schädelstätte,
34 gaben sie ihm Wein zu trinken mit Galle vermischt; und als er's schmeckte, wollte er nicht trinken.
35 Als sie ihn aber gekreuzigt hatten,
verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum.
36 Und sie saßen da und bewachten ihn.
37 Und oben über sein Haupt setzten sie eine Aufschrift mit der Ursache seines Todes: »Dies ist Jesus, der Juden König.«
38 Dann wurden mit Jesus zwei Räuber gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken.
Das Unrecht geht weiter. Alltag der Hinrichtung. Eingeübte Routine.
Für die Soldaten des Pilatus ist das ein schmutziger Job. Aber auch ihr Arbeitsplatz. Besser der als gar keiner. Hauptsache Arbeit. Egal was und für wen. Die Soldaten funktionieren. Nur nicht Grübeln. Nur keine Gefühle zeigen. Ein bisschen Ablenkung – das ja. Jesu Kleider verlosen – das gehört dazu. Zeitvertreib wird auch auf Golgatha großgeschrieben. Dann noch den Schuldspruch über sein Haupt ans Kreuz heften und fertig.
37 Und oben über sein Haupt setzten sie eine Aufschrift mit der Ursache seines Todes: »Dies ist Jesus, der Juden König.«
38 Und da wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt,
einer zur Rechten und einer zur Linken.
»Jesus von Nazareth, König der Juden«. Eine Anklage? Oder eine Feststellung? Es kann beides sein. Drei als Aufrührer verurteilte hinrichten, das geht noch. An anderen Tagen - beim Krieg der Römer gegen die Juden – sind es bis zu fünfhundert.
39 Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe
40 und sprachen: Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz!
Golgatha – die Schädelstätte – ist offenbar auch ein Ort für Passanten, für Schaulustige, die das Grauen anzieht, die dabei sein wollen, wenn etwas passiert, die eben mal vorüber gehen, wenn einer sich im Todeskampf quält. Todeskampf live, Horror real.
Und vielleicht waren einige auch dabei, als Jesus in Jerusalem einzog. Da war ja auch ´was los, da gab´s ja auch ´was zu sehen. Vielleicht haben sie auch »Hosianna dem Sohn Davids« gerufen. Zumindest einige von ihnen. Und haben bei sich gedacht: Jetzt passiert es!
Jetzt wird die Fremdherrschaft der Römer besiegt!
Doch dann diese Ernüchterung: „Jesus ist doch nur einer unter vielen. Kein König, kein Befreier, kein Messias. Der wird gekreuzigt wie Andere auch. Ja, wenn er jetzt heruntersteigt vom Kreuz, wenn er noch ´was losmacht, etwas, was ihn unterscheidet von den Anderen, wenn er jetzt in letzter Sekunde noch den Römern eins auswischt...“, ja dann könnten sie wieder rufen: »Hosianna dem Sohn Davids«, dann könnten sie ihm folgen. Aber wenn er das nicht bringt? Dann geschieht es ihm recht. Was hat er denn den Mund so voll genommen? Selber Schuld. „Hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist. Runter vom Kreuz, auf geht´s. Nicht den lieben langen Tag Reden halten von Buße und Veränderung und vom Reich Gottes.“ Zynisch und selbstzerstörerisch sind solche Worte. Das ist die schadenfrohe Torheit der Schwachen, die sich am Sieg der Mächtigen über ihresgleichen begeistern – ohne Mitgefühl, ohne Scham.
Es ist ein Lächerlichmachen, das mir bekannt vorkommt, Comedy der ganz üblen Art, ein Zynismus, der Hoffnung vertreibt: „Wer Kraft hat für Andere, der braucht keine Unterstützung. Hilf dir selbst, beiß dich durch. Schäme dich, wenn du von der Hilfe Anderer leben musst.“ Wie zynisch, wie abtötend kann so ein Appell an die eigenen Kräfte sein - im Angesicht der Schwäche. Exakt so wird das Band der Liebe und der Sympathie zwischen Menschen zerschnitten.
41 Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen:
42 Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen.
Ist er der König von Israel, so steige er nun vom Kreuz herab. Dann wollen wir an ihn glauben.
43 Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn.
Wie ein Echo der Vorübergehenden klingen ihre Worte.: »Ist er der König von Israel, so steige er nun vom Kreuz herab. Dann wollen wir an ihn glauben.« Als hätten sie dem Volk auf´s Maul geschaut. In Wirklichkeit aber – und das erfahren wir auch von Matthäus - sind sie die Einflüsterer, die das Volk überredet haben, für Barabbas einzutreten und dafür, dass Jesus gekreuzigt wird. Aus ihrem Mund erfahren wir, woher es die Anderen haben. Ihre Lektion sitzt offenbar gut.
Aus der modernen Medienwelt kennen wir das. Erst Menschen verunglimpfen und dann sagen: „Das Volk hat was gegen sie.“ An ihrem Glauben sollen wir sie erkennen. Sagen sie doch: "Ist er der König von Israel, so steige er nun vom Kreuz herab. Dann wollen wir an ihn glauben." Sollte sich das Blatt wenden, sollte Jesus auf Golgatha doch die römische Macht besiegen, dann ist »Glaube an Jesus« wieder angesagt. Glaube als Siegesrückversicherung. Und wer will nicht gern bei den Siegern sein. Ein Glaube an die Stärke und den Stärkeren meldet sich hier. Ein Glaube, der auf der Seite der Sieger zu Hause ist. Heute Pilatus huldigen, morgen Jünger Jesu.
Solche windschnittigen Wendehälse sind auch heute unterwegs – mal mit den einen, mal mit den anderen im Bunde. Hauptsache sie herrschen und siegen – dann sind sie dabei.
Ein machtverliebter Glaube, der Gott selber auf die Probe gestellt: »Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat.« Gott soll beweisen. Wenn dieser Jesus sein Sohn ist, dann soll er ihn hier nicht so sterben lassen. Dann soll er ihm helfen. Ein Gedanke, der nachvollziehbar ist. Doch im Grunde ist es ein grausames Gedankenspiel, ohne jegliches Mitleid für den Sterbenden. Ein Glaube von Zuschauern ist das, ein Glaube, der noch im Todeskampf glotzt, voyeuristisch bis zum Exzess.
Doch vor dem, was da geschieht, erblasst die Welt, verfinstert sich der Himmel. Das kann Gott nicht länger mitansehen. Das Matthäusevangelium schildert es so:
45 Und von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde.
46 Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Jesus, so scheint es, ist allein. Von Gott und der Welt verlassen. In seiner größten Gottverlassenheit schreit er zum Vater im Himmel. So wie es uns auch aus einem anderen Gebetswort aus Psalm 22 erreicht: »Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe, denn es ist hier kein Helfer. Meine Stärke, eile mir zu helfen.« Ein letzter verzweifelter Hilferuf. Doch selbst jetzt noch – da Finsternis die Welt bedeckt, da die Schatten des Todes sich ausbreiten, selbst da verstummen die Kommentare der Schaulustigen nicht. Bis in den Todeskampf Jesu hinein.
47 Einige aber, die da standen, als sie das hörten, sprachen sie:
„Der ruft nach Elia.“
48 Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken.
49 Die andern aber sprachen: „Halt, lass sehen, ob Elia komme und ihm helfe!“
Die Menschen unter dem Kreuz verstehen nicht. Wollen sie nicht verstehen? Treiben sie ihren Spott auch noch mit seinen letzten Worten? Oder verbirgt sich dahinter noch eine letzte, verzweifelte Hoffnung? Ein Wunder geht noch. Wetten dass!
Wenn Jesus sich selbst nicht helfen kann, wenn Gott nicht eingreift, dann, kann sein, ist der Prophet Elia nahe. Ist das womöglich die Stimme Einzelner, die es nicht fassen können: Der Hoffnungsträger des Volkes Israel, der Friedefürst stirbt und niemand greift ein. Bei Matthäus heißt es knapp und kalt: „Aber Jesus schrie abermals laut und verschied.“
Ende? Aus und vorbei?
Gottes Sohn – der Gewalt von Menschen ausgeliefert, ihrem Spott, ihrer Verachtung. Er stirbt – und niemand greift ein? Liefert Gott sich damit nicht selber aus? Ist von seiner Herrschaft nichts mehr zu spüren, von seiner Allmacht nichts mehr zu sehen? Wir hören den Schluss unseres Evangeliums:
51 Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus.
52 Und die Erde erbebte und die Felsen zerrissen, und die Gräber taten sich auf und viele Leiber der entschlafenen Heiligen standen auf
53 und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen.
54 Als aber der Hauptmann und die mit ihm Jesus bewachten das Erdbeben sahen und was da geschah, erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!
Nicht aus und vorbei. Wo Mächtige triumphieren, gibt der Allmächtige nicht auf.
Der Vorhang im Tempel geht auf. Gott, der HERR tritt heraus - an die Seite des Geschundenen und Verschmähten. Die Erde bebt, Felsen zerreißen und Gräber brechen auf. Beben, Aufbrüche und Risse. So durchkreuzt Gott, der HERR, das Geschäft des Todes. ER erhört den Hilfeschrei seines Sohnes. ER lässt ihn nicht allein. In aller Finsternis bewahrt der Vater im Himmel ER seinen Sohn Jesus Christus, das Licht der Welt. Auch die Finsternis von Golgatha hat es nicht verschlingen können.
Jesus ist von Menschen gekreuzigt, aber sein Vater im Himmel ist und bleibt ein Gott des Lebens und nicht des Todes. Auf ewig. Das ist die Hoffnungsfanfare.
Entschlafene Heilige ziehen in die Stadt. „Oh when the saints go marchin in...“
Hoffnung für alle, die Bilder des Grauens bis in den Schlaf verfolgen.
Hoffnung für alle Zyniker, die sich aus Angst vor Enttäuschungen Hoffnung verbieten,
Hoffnung für alle, die ihr persönliches Schicksal nicht mehr ertragen.
Sie alle lässt Gott nicht im Stich. Nichts kann uns von IHM trennen. Keine Einsamkeit, keine Krankheit. ER führt uns einst – wie seinen Sohn Jesus Christus – auch durch Sterben und Tod hindurch – zum Licht und zum Leben.
Ich bete:
HERR unser Gott,
durchbrich unsere Verschlossenheit,
öffne uns für deinen Schmerz und unsere Schuld.
Lass dein Antlitz auch über uns leuchten
in den Stunden der Not, der Trübsal und der Anfechtung.
Verwandle uns zu Menschen,
die aus deiner Güte und Vergebung leben.
Amen.
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