Okuli / 3. Sonntag der Passionszeit (03. März 2013)
Pfarrerin Dr. Ruth Conrad, Stuttgart
Jeremia 20, 7-11
Liebe Gemeinde,
dass wir gegen Gott verlieren könnten,
dass wir also nach einer harten Auseinandersetzung mit Gott als Unterlegene das Feld räumen, dieser Gedanke des Propheten Jeremia ist aufs Erste verstörend und abwegig.
Beim näheren Nachdenken aber deckt er sich dann doch mit manchen unserer Erfahrungen.
Beginnen wir mit dem Ersten:
Dass wir gegen Gott verlieren könnten,
also nach einer harten Auseinandersetzung mit Gott als Unterlegene das Feld räumen –
das wirkt vermutlich aufs Erste deshalb so verstörend und abwegig,
weil wir uns angewöhnt haben Gott nicht als Feind, sondern als ein liebendes Gegenüber zu denken.
„Gott“ – dieses Wort setzen wir für die Erfahrung von Geborgenheit und Halt im Leben,
für die Erfahrung von Vergebung nach schlimmen Vergehen,
für die Erfahrung von Sinn und Einheit in allem Brüchigem.
„Gott“ – mit diesem Wort verbinden wir die Hoffnung auf einen Neuanfang und auf einen guten Ausgang,
die Hoffnung, „von guten Mächten wunderbar geborgen zu sein“,
die Hoffnung, dass Einer, wenigstens Einer treu und in guter Absicht an unserer Seite steht.
„Gott“ – um zu beschreiben und zu erfassen, was wir darunter verstehen, haben wir schöne, große, wohltuende Bilder gefunden:
Der liebende Vater, der seine Arme für sein geliebtes Kind weit öffnet,
die tröstende Mutter, die Tränen trocknet und sich das Klagen und Weinen geduldig anhört,
das Licht in der Dunkelheit, das uns den Nachhauseweg zeigt,
der Herr, mein Licht und mein Heil,
der Fels, der in allen Wellengängen des Lebens stabil bleibt.
Ja, liebe Gemeinde,
so wollen wir Gott denken und das hat auch sein gutes Recht.
Die Bibel beschreibt uns einen solchen Gott,
unsere Erfahrung kennt einen solchen Gott
und unsere Seele benötigt einen solchen Gott.
Aber – weder die Bibel noch unsere Erfahrung noch unsere Seele neigen zu Einseitigkeiten.
Denn Einseitigkeiten neigen zur Einfältigkeit.
Einseitigkeiten legen fest.
Einseitigkeiten reduzieren Dinge, die in Wirklichkeit viel komplexer und auch viel widersprüchlicher sind.
Ein Gott, der nur gut, nur liebend, nur tröstend, nur vergebend ist, ein solcher Gott ist ein reduzierter Gott.
Ein Gott für die Handtasche.
Ein harmloser Gott.
Doch unsere Lebenserfahrung ist weder harmlos noch hat sie Handtäschchenformat noch besteht sie immer aus Liebe, Trost, Vergebung.
Und deshalb entspricht ein solcher Gott nicht unserer Erfahrung.
Und damit sind wir beim Zweiten:
Dass wir also nach einer harten Auseinandersetzung mit Gott als Unterlegene das Feld räumen.
Dieser Gedanke deckt sich beim näheren Nachdenken aber doch mit manchen unserer Erfahrungen.
Und eben deshalb redet die Bibel auch nicht einseitig von Gott. Deshalb bewahrt sie solche Texte wie den des Propheten Jeremia.
Denn die Bibel weiß: die Menschen machen auch andere Erfahrungen im Leben.
Schlimme Erfahrungen einer Abgründigkeit, in der wir uns nicht länger als gehalten erleben, sondern im freien Fall nach unten segeln. Wir spüren – wir verlieren.
Böse Erinnerungen an eigene Schuld, an Egoismus und Rücksichtslosigkeit und keine Vergebung will das geplagte Herz erlösen. Die Wunde blutet und blutet. Wir spüren – wir verlieren.
Eine Aufgabe, mit der wir uns restlos übernommen haben. Unter die Räder sind wir gekommen, ganz bös’ und die Kollegen amüsieren sich köstlich. Wir spüren – wir verlieren.
Schatten auf unserer Seele, die uns stets auf's neue heimsuchen.
Dunkle Seiten am eigenen Ich, die sich nicht verdrängen lassen.
Ängste, die einen plagen,
Versagensängste,
Ängste, die Liebe entzogen zu bekommen,
Ängste vor den Unabwägbarkeiten des Lebens. Wir spüren – wir verlieren.
Ein anderer, ein anderes erweist sich als stärker
Die Bibel weiß: so kann das Leben auch sein.
Solche Erfahrungen gibt es auch.
Verlierer-Erfahrungen.
Niederlagen-Erfahrungen.
Und auch solche Erfahrungen können Gottes-Erfahrungen sein.
Nämlich, die Erfahrung, gegen Gott zu verlieren.
Ein anderer – Gott – ist stärker.
HERR, du hast mich überredet und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich.
Es ist ein ungeheurer Vorwurf, der hier laut wird,
der sich aber in unserer Erfahrung findet:
Gott selbst täuscht, betört, verführt, überreden, überwältigt, besiegt.
Gott lässt seine Muskeln spielen,
spielt seine Überlegenheit scheinbar unverhohlen aus,
zeigt, wer am längeren Hebel sitzt.
In den Tiefen unseres Lebens tritt uns zuweilen Gott als böser, hinterhältiger und wütender Feind entgegen.
Dann, wenn nicht alles aufgeht, wenn Fragen offenbleiben.
Warum hat es mich getroffen?
Warum meine Familie?
Warum hat er es zugelassen?
Warum hat er die Zeit des gemeinsamen Lebens so kurz bemessen?
Warum schenkt er nicht Heilung?
Warum weicht die Zuversicht?
Warum bleibt der Himmel verschlossen?
HERR, Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich.
Dass wir gegen Gott verlieren könnten,
liebe Gemeinde,
dass wir also nach einer harten Auseinandersetzung mit Gott als Unterlegene das Feld räumen,
dieser Gedanke ist aufs erste verstörend und abwegig.
Beim zweiten, näheren Nachdenken aber deckt er sich dann doch mit manchen unserer Erfahrungen.
Wohin soll ich fliehen?
Und darin liegt dann, das ist das Dritte, die Kraft und der Trost dieses ursprünglich so verstörenden Gedanken.
Gegen Gott zu verlieren,
das ist vermutlich deshalb eine so verstörende Erfahrung,
weil der Glaube damit insgesamt zwiespältig wird.
Warum an Gott glauben, wenn er sich gegen mich stellt?
Warum auf Gott vertrauen, wenn er mir die Faust ins Gesicht reibt?
Warum auf Gott hoffen, wenn er mir als Feind entgegentritt?
Da dachte ich: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen verschlossen, dass ich's nicht ertragen konnte; ich wäre schier vergangen.
Ich will nicht mehr an Gott denken – das ist ein natürlicher Impuls in solch schlimmen Erfahrungen.
Aber auf wen wollen wir dann eigentlich solche Erfahrungen des Verlierens, solche Niederlagen beziehen?
Nur auf uns selbst?
Welch' ungeheure Zumutung an unsere seelische Leistungsfähigkeit,
welch' elende Einsamkeit, die wir uns so aufladen.
Ich mein eigener, mein schlimmster Feind?
Welchen Ausgang gibt es dann?
Welche Hoffnung auf Erlösung?
Die müsste dann ganz in meiner eigenen Kraft liegen.
Wir ahnen die Vermessenheit und die Ausweglosigkeit.
Oder wollen wir diese Erfahrungen auf eine böse Macht beziehen, mit der Gott dann im Kampf liegt? Und dann verliert der gute Gott womöglich gelegentlich gegen den bösen Teufel oder gegen das schlimme Schicksal? Dann wird Gott selbst hilflos und zum Verlierer? Ein solcher Gott wäre der Lächerlichkeit preisgegeben. Man würde ihn mild belächeln und ins Handgepäck nehmen.
Damit Gott Gott bleibt, darum wollen auch solche Erfahrungen auf Gott bezogen sein. Das ist die Überzeugung der Bibel. Sie entlässt Gott nicht aus solchen Erfahrungen. Besser Gott zum Feind als sich selbst oder einem entfesselten Teufel oder einem willkürlichen Schicksal ausgeliefert zu sein.
Denn Gott zeigt sich eben nicht nur als Feind, sondern immer auch als der andere – der liebende Vater, die tröstende Mutter, das erleuchtende Licht.
Gott ist in unserer Erfahrung immer auch als der vorhanden, der es gut mit uns meint, der bergend und schonend seine Hand über uns hält, der uns nicht der letzten, vernichtenden Niederlage preisgibt. Zu diesem Gott flieht der Prophet, fliehen wir, dann, wenn wir gegen Gott unterzugehen drohen.
Vor Gott fliehen wir zu Gott
Da dachte ich: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen verschlossen, dass ich's nicht ertragen konnte; ich wäre schier vergangen. […] Denn der HERR ist bei mir wie ein starker Held.
Dass wir gegen Gott verlieren könnten,
liebe Gemeinde,
dass wir also nach einer harten Auseinandersetzung mit Gott als Unterlegene das Feld räumen, dieser Gedanke ist aufs erste verstörend und abwegig. Weil wir es uns mit einem guten Gott gerne gemütlich machen. Und weil unsere Seele dieser Gemütlichkeit in den Stürmen des Lebens zuweilen bedarf.
Beim näheren Nachdenken aber deckt sich dieser Gedanke dann doch mit manchen unserer Erfahrungen.
Mit den schlimmen Erfahrungen, aus denen wir nicht strahlend und siegreich hervorgehen, sondern die uns als Verlierer und Verwundete entlassen.
Und genau an diesem Punkt entfaltet dieser Gedanke des Propheten dann seine ungeheuer tröstende Kraft – es ist eben niemand anders als Gott selbst, der uns besiegt.
Und dieser Gott hat uns einmal und ein für allemal sein gnädiges und sein mitleidendes Angesicht zugewandt – im Mann am Kreuz sehen wir den Abgrund der Liebe Gottes, eine Liebe, in der Gott sich selbst zum Feind wird, um dadurch uns in den Abgründen solcher Erfahrungen ein Bruder zu sein.
Der Gott, der uns zum Feind wird, ist der Gott, der in Jesus unser Bruder und Heiland wird.
So wollen wir vor Gott zu Gott fliehen.
An Gott hängen – ihm selbst zum Trotz.
Einen anderen Trost haben wir nicht.
Amen.
Predigt zum Herunterladen: Download starten (PDF-Format)