Trinitatis (26. Mai 2013)
Pfarrer Dr. Johannes Reinmüller, Ingelfingen [johannes.reinmueller@web.de]
4. Mose 6, 22-27
Liebe Gemeinde,
deutlicher kann ein Bibeltext das Thema einer Predigt nicht ankündigen. Es geht heute an diesem Sonntag in dieser Predigt um den Segen.
Der fremd gewordene Segen
Der Segen ist uns gut vertraut. Die meisten von uns kennen ihn – zumindest dem Sinn nach – auswendig. Und am Ende des Gottesdienstes wartet jeder darauf, ihn zugesprochen zu bekommen. Seit einigen Jahren spricht man sogar von einem „Segensboom“, denn immer mehr Segnungsgottesdienste sprießen aus dem Boden. Und wenn man Menschen, die mit Kirche nicht mehr viel am Hut haben, fragt: „Was ist Ihnen an der Kirche und ihrem Gottesdienst noch wichtig?“, dann kommt häufig als Antwort: „der Segen!“
Aber – Segensboom hin oder her – ich würde behaupten: Der Segen ist uns letztlich fremd geworden. Denn einmal Hand aufs Herz: Wie oft hören wir außerhalb des Gottesdienstes heute noch vom Segen? Das „Grüß Gott“, was ja auch ein Segensgruß ist, wird immer mehr durch ein „Hallo“ oder „Tag“ oder wie im Schwäbischen durch ein „Hoi“ abgelöst. Über Hauseingängen finden wir nur noch an alten Häusern einen Segensspruch eingemeißelt, an den Neubauten hingegen nur noch eine Überwachungskamera. Und wer anderen Menschen „gesegnete Ostern!“, „gesegnete Weihnachten!“ – oder ganz aktuell – „gesegnete Pfingsten!“ wünscht, der steht schnell im Verdacht, besonders christlich sein zu wollen.
Sie sehen: Es ist höchste Zeit, dass wir uns diesem fremdgewordenen Thema zuwenden und darüber als erstes nachdenken, was es mit dem Segen auf sich hat.
Gott legt seinen Namen auf uns – und gibt uns eine Identität
Den Zugang zum Segen finden wir ganz am Ende unseres Predigttextes. Dort sagt Gott (V. 27): „denn ihr sollt meinen Namen auf die Israeliten legen“. Dieser Vers nennt den Grund, weshalb es den Segen gibt: Mit dem Segen legt Gott seinen Namen auf uns!
Das klingt großartig, aber auch merkwürdig. Denn: Wie sollen wir uns das vorstellen, dass Gott seinen Namen auf uns legt?
Dazu ein Beispiel: Wenn Sie mit dem Flugzeug irgendwohin fliegen, dann müssen Sie Ihr Gepäck im Flughafen am Check-in-Schalter aufgeben. Dort, am Check-in-Schalter, wird an Ihrem Koffer oder an Ihrer Tasche eine weiße Banderole befestigt. Auf der Banderole stehen neben dem Flugziel vor allem Ihr Name und Ihre Daten darauf. Das heißt: Mit dieser Banderole bekommt Ihr Koffer einen Namen. Und damit wird deutlich: Dieser Koffer, den ich aufgebe, gehört zu mir, denn mein Name, meine Daten hängen an diesem Koffer. Denn was wäre, wenn ein Koffer nicht eine solche Banderole – oder neudeutsch – solch einen „Bag-tag“ (lies: „bäg-täg“) hätte? Solch ein Koffer wäre in der Gepäcksortieranlage des Flughafens nicht mehr zu identifizieren. Er hätte keine Identität mehr. Er würde sofort verlorengehen und könnte sein Ziel nicht erreichen.
Wenn Gott sagt: „Ihr sollt meinen Namen auf die Israeliten legen“, dann meint Gott: Ihr gehört zu mir. Ich bin euer Gott. Ihr tragt meinen Namen und bekommt durch meinen Namen eine Identität. Ihr werdet unverwechselbar und von mir am Ende Eurer Reise wiedererkannt und – im wahrsten Sinne des Wortes - aufgenommen.
Das ist die Bedeutung des Segens und deshalb gibt es den Segen: Gott macht uns immer wieder deutlich, ruft uns immer wieder ins Bewusstsein, zu wem wir gehören.
Gott behüte dich – ER ist immer schon für dich da
Und nun zum zweiten Punkt: Was geschieht beim Segen? Schauen wir uns deshalb den Segen einmal genauer an.
Da heißt es zuerst (V. 24): „Der Herr segne dich und behüte dich.“
Heißt das etwa, dass der Segen mich vor allem Bösen immun macht; dass der Segen eine Art Schutzmantel gegen Gefahren ist? Wird eine Ehe, die den Trausegen erhält, besser? Wird eine Reise, über die ein Reisesegen gesprochen wird, sicherer? Lauern über einem gesegneten Neugeborenen weniger Gefahren?
Ganz klar: Nein!
Denn der Segen ist kein mystischer Zauberspruch. Er ist kein esoterischer Kraftstrom. Und er ist erst recht keine christliche Lebensversicherung! Denn dann, wenn wir den Segen empfangen, behütet uns Gott nicht mehr und nicht weniger, als wie er es schon vorher getan hat! Denn sonst wäre der Segen Magie! Es würde dann in der Macht des Segnenden liegen, dass gesegneter Mensch behüteter ist, als ein nicht gesegneter.
Aber heißt das, dass beim Segen gar nichts passiert? Sind dann diese Segensworte nur ein paar fromme, gutgemeinte Wünsche, die sich Menschen in Gottes Namen zusprechen? Nein, auch das nicht!
Denn wenn wir gesegnet werden, dann passiert dennoch etwas. Nicht mit Gott passiert etwas, sondern mit uns passiert etwas.
Denn in dem Moment, in dem wir gesegnet werden, wird uns das wieder bewusst und in Erinnerung gerufen, was Gott schon immer für uns tat, gerade für uns tut und auch in Zukunft für uns tun wird. Indem wir den Segen hören, vergewissern wir uns wieder der Wohltaten Gottes an uns.
Gottes Angesicht – in Christus zeigt ER sich
Und von diesen Taten, deren wir uns beim Segen wieder vergewissern, berichten die zweite und die dritte Segenszeile.
In der zweiten Segenszeile heißt es (V. 25): „Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.“
„Sein Angesicht leuchten“ – das hört sich für unsere Ohren etwas veraltet an. Es bedeutet aber: Gott lässt sein Gesicht über Dir strahlen!
Ja was jetzt?! Gott zeigt sein Gesicht? Wir sind doch hier im Alten Testament. Und im Alten Testament wird doch immer wieder betont: Du sollst Dir kein Bild von Gott machen (vgl. u.a. Ex 20,4; Dtn 4,15-18; 5,9)! Und jetzt heißt es im Segen: Gott hat ein Gesicht, das über den Menschen strahlt.
Ja, wir hören richtig: Gott hat ein Gesicht! Das ruft uns der Segen immer wieder in Erinnerung. Gott ist kein unsichtbarer, kein ungreifbarer Kraftstrom. Gott ist keine gesichtslose Macht, sondern in Jesus Christus hat Gott ein Gesicht. Gott wird in Jesus Christus Mensch. Das macht uns der Segen wieder klar. Ein Mensch, der von sich sagt (Joh 8,12): „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ In ihm das Licht des Lebens haben, von ihm angestrahlt und mit Namen erkannt werden – das ist Gottes Gnade, von der der Segen redet. Gott zeigt sich als Mensch; er ist für uns sichtbar, greifbar, annehmbar. Und das soll uns im Segen wieder bewusst werden.
Frieden – die versöhnte Gemeinschaft mit Gott befreit zum versöhnten Leben
Und schließlich heißt es in der letzten Segenszeile (V. 26): „Der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.“
Auch das macht uns der Segen wieder neu bewusst: Bei Gott haben wir Frieden.
Frieden – keine Situation sehnen wir uns lieber herbei als den Frieden. Gerade wir Deutschen, und besonders die ältere Generation, weiß, wie wichtig Frieden für ein Land und seine Bürger ist. Dabei wissen wir aber allzu gut, dass Frieden nicht nur das Fehlen von Krieg sein kann. Wenn Gott uns im Segen den Frieden ins Bewusstsein ruft, dann ist mehr gemeint. Zu Friede gehört Versöhnung. Versöhnt sein mit Gott, mit seinen Mitmenschen und mit sich selbst. Denn nur wer mit sich selbst versöhnt ist, kann das auch mit seinen Mitmenschen sein. Friede, so wie Gott ihn uns gibt, ist Heil. Eben an Gott glauben. Ihm gehorchen. Im Lesen der Bibel auf sein Wort hören. Im Gebet mit ihm reden und auf ihn horchen. Und in versöhnter Gemeinschaft seine Herrlichkeit feiern. Amen.
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